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"Tapespaces"
Wer die Arbeiten des Karlsruher Künstlers Tobias Fluhr betrachtet, dem sticht zunächst ein lecker anmuten-des und farblich höchst anziehendes Spiel mit Oberflächenstrukturen ins Auge. Man fühlt sich wohl, vieles er-innert uns an Bekanntes: Farbspritzer, Rastersysteme, Streifen, Farbfelder, geometrische Objekte und Muster begegnen uns in grell-leuchtenden Neonfarben mit einem Fable für Retro-Ästhetik. Fluhr schöpft nicht nur aus dem reichhaltigen Repertoire unserer Unterhaltungskultur und verwertet gezielt künstlerische Klischees, für seine neue Werkreihe findet auch ein höchst alltägliches Gebrauchsmaterial Verwendung: das Tape. –
Klebeband und Farbe auf Papier ist das grundlegende Setup seiner „Tape-Spaces“. Die scheinen sich auf-grund der Beschaffenheit des Bildträgers kaum von der Wand abzuheben, wirken wie großformatige High-Quality-Prints superflat. Das Übereinanderlegen einer Vielzahl von Bildelementen erinnert an digitale Bild-bearbeitungsprogramme und suggeriert Räumlichkeiten, die gleichzeitig ein Davor und Dahinter imaginieren. Bildelemente durchkreuzen und überschneiden sich, kippen optisch in das Innere des Bildträgers sowie dem Betrachter entgegen. Dies wird sogar bis zum Trope l‘ Oeil gesteigert. Dieses Changieren lässt die gesamte Bildfläche sehr dynamisch und lebendig erscheinen. In einem längst digitalisierten Alltag erlebt die Frage nach der Entauratisierung des Kunstwerks eine eigene Dynamik. Diese wendet sich regelrecht an den Betrachter und lädt ihn dazu ein, sich dem Bild zu nähern, der verlockenden Oberfläche, aber auch dem Dahinter - und somit auch der Machart - auf die Spur zu kommen.
Was zunächst einen affirmativen Hang zum Schönen suggeriert und das Bedürfnis eines gewollt zeitgenössi-schen – auf reine Augenlust gerichteten – Kunstpublikums reflektiert, erhält bei näherer Betrachtung eine weitere inhaltliche Ebene. Das scheinbar Glatte, Artifizielle, auf die Oberfläche Zielende, ist kein Hang zur Oberflächlichkeit, sondern Spiel und Methode. So wird das Gefällige und Glatte – als Signatur der Gegenwart – zwar als Sehklischee ausgestellt, bei genauerer Betrachtung jedoch unterwandert.
Die „Tape-Spaces“ erinnern wohl an illusionistische Malerei, sind von ihrer Machart jedoch vielmehr das Er-gebnis einer rational-kalkulierten Konstruktion, die das individuell angefertigte Klebe-Material spielerisch zu einer stimmigen Einheit zusammenfügt. So offenbart sich nach einigen Momenten des Schauens nun direkt an den Bildern – und vor allem durch die überbrückte Distanz – die weitere Dimension: Das Bild besteht aus einer Vielzahl von einzeln ausgeschnittenen und aufgeklebten Fragmenten, die collageartig zusammengefügt sind. Der Betrachter muss seinen ersten Eindruck revidieren. Was zunächst als gemaltes Farbband wahr-genommen wurde, entpuppt sich als Sticker. Was illusionistische Räumlichkeit suggerierte, erhält plötzlich physische. Das Klebeband springt aus dem geschlossenen Bildraum dem Betrachter fast reliefartig entgegen. Der malerische Illusionismus wird durch den fragmentarischen Charakter der einzelnen Bildelemente und vor allem aber durch seine konkrete Materialität geradezu aufgebrochen.
Und in der Tat schlängeln sich in Fluhrs gesamtem Atelier bunt bemalte Klebebandfragmente und -streifen an Türen und Wänden entlang. Es entsteht der Eindruck als befände man sich inmitten eines großen Labors, das Fluhr in dem Zusammenhang gerne als seinen „Werkzeugkoffer“ bezeichnet. Wenngleich Irritationen in den Bildern wie Verwischungen, nebulöse Farbschlieren und -spritzer noch an den Prozess des Malens referieren, sind diese doch vielmehr einzelne Werkzeugtools, die vor allem die prinzipielle Offenheit des künstlerischen Prozesses widerspiegeln und einen neuen kompositorischen Freiraum ermöglichen. Bei der Entstehung der Arbeiten ist für Fluhr eine „Balance zwischen spontanem Umgang mit den Werkstoffen und deren akribische Bearbeitung“ ein bedeutender Faktor. Für ihn bietet der Herstellungsprozess der „Tape-Spaces“ - gerade im Unterschied zur konventionellen Malerei - neue Möglichkeiten der Bildfindung: „Durch die Machart ist es auch im fortschreitenden Bildfindungsprozess prinzipiell möglich, die bestehende Bildkomposition neu zu strukturie-ren.“
Fluhr unterhöhlt in den „Tape-Spaces“ Begriffe wie Flatness und Glätte, indem er eine höchst eigentümliche, geradezu doppelbödige Tiefenräumlichkeit erzeugt. Der entstehende Kontrast zwischen visuellem Eindruck und tatsächlicher Materialität richtet sich dezidiert gegen den zeitgenössischen Körperdiskurs, gegen Ent-materialisierungsgedanken und rein virtuelle Räumlichkeiten. Vielmehr wird eine prinzipielle Untilgbarkeit des konkreten Materials ausgestellt, die der Tendenz von Immaterialität und Simulation widerspricht und somit Fluhrs neuer Werkserie gerade durch das Handgemachte ihre Tiefe verleiht.
Florian Wörrle
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